Im Vorfeld der documenta wurde die Aufgabe an die Studierenden gestellt, sich ein Objekt herauszusuchen, zu recherchieren und vor Ort zu präsentieren. In meinem Fall hab ich mich mit der Künstlerin Regina José Galindo auseinandergesetzt. In ihrem Film „La Sombra“ (Der Schatten) im Palais Bellvue sieht man eine beeindruckende Performance von ihr. Sie rennt auf einem Feldweg entlang und wird von einem Panzer (Modell: Leopard) verfolgt. Durch die Lautsprecher hört man Galindos Keuchen und die durch den Panzer erzeugten Geräusche. Mehr passiert nicht. Aber mehr muss auch nicht passieren. In dem kleinen, dunklen Raum, mit den Lautsprechern, die einem das Gefühl geben, Galindos Keuchen wäre das eigene. Man versucht Fluchtwege zu entdecken, aber man weiß schnell, egal ob man auf dem Feldweg bleibt, oder in die Felder ringsherum ausweicht, man ist dem Panzer erlegen. Obwohl es sich ausschließlich um ein Video handelt, schafft sie es, dass man denkt, man selbst sei die/der Verfolgte.
Um Perspektive geht es auch in Galindos zweiter Performance in Kassel. Nach diesem beeindruckenden Video konnte ich mir kaum ausmalen, wie es mir bei ihrer Performance „El Objetivo“ im Stadtmuseum in Kassel ergehen wird. Hierbei handelt es sich um einen speziell gebauten Raum. Galindo sollte während ihrer Performance in der Mitte dieses Raumes stehen und nur durch die Läufe von vier G36 Gewehren zu sehen sein. Ich habe mir überlegt, was wohl durch meinen Kopf gehen wird, wenn wir durch die Gewehre schauen. Abdrücken? Angst? Respekt? Wegschauen? Galindo selbst war nicht vor Ort, als wir dort waren. Man konnte sich aber selber in die Mitte des Raumes stellen. In der „Anleitung“ stand man solle sich drei Minuten in die Mitte des Raumes stellen und sich nicht bewegen. Eine Kommilitonin übernahm die Rolle Galindos. Ich nahm die Position hinter dem Gewehr ein. Ich begab mich in die Rolle der Personen, die sonst durch einen Gewehrlauf gucken. Ich schaute also durch den Lauf eines Gewehres. Um mich herum liefen Menschen hin und her. Unterhielten sich. Lachten. Schauten ebenfalls durch einen Lauf. Welche Stimmung bei mir aufkam? Keine Besondere. Ich vermute, durch die vielen Stimmen, dadurch, dass ich die Person in der Mitte des Raumes kannte, der ich durch den Lauf des Gewehres in die Augen schaute, konnte ich mich nicht auf die Performance einlassen. Der Gedanke, der hinter der Performance steht ist super! Galindo möchte darauf aufmerksam machen, dass Deutschland zu den fünf größten Waffenherstellern der Welt zählt. Die Gewehre stammen von dem deutschen Hersteller Heckler & Koch. Leider kam die Message nicht so rüber, wie erhofft. Bedingt durch mehrere Faktoren. Aber vielleicht auch, weil einigen der Anwesenden nicht bewusst war, um was genau es sich handelt. Denn ausführliche Beschreibungen zu Kunstwerken oder gar Audio-Guides waren bei der documenta nicht zu finden.
Einen Monat nachdem ich auf der documenta war, las ich einen Artikel über Heckler& Koch. Der Vorstandsvorsitzende hatte beschlossen Waffen nicht mehr in Kriegsgebiete zu exportieren. Ich freute mich. Zum einen über die Tatsache an sich, zum anderen, weil ich diese Nachricht mit Galindos Performance in Verbindung brachte. Sie gab mir das Gefühl, dass man mit Kunst wirklich etwas erreichen kann. Dann las ich den Artikel weiter. Der Vorstandsvorsitzende wurde mit sofortiger Wirkung entlassen. FR