Kunst für alle? Endlich gehöre ich dazu.

Was kann Kunst? Was darf Kunst? Und wie viel Kunst muss ich können, um „dazuzugehören“? – all diese Fragen beschäftigten mich vor der Abreise nach Kassel und auch vor dem ersten Zusammentreffen des Seminars. Die Auseinandersetzung mit Kunst bestand bis dato aus zwei Sphären: Die erste ist schulischer Natur – Kunstunterricht, Inspiration holen, eigentlich mehr damit beschäftigt sein sich über andere Dinge auszutauschen und keinerlei Zugang zu den Werken zu bekommen. Der Satz „Bitte nicht so dicht dran gehen, die Schüler*innen letzte Woche haben hier ein Kaugummi drangeklebt“ hat sich bis heute in mein Gehirn gebrannt. Wie sollte man als vorverurteilter Teenager noch Lust bekommen, sich diesem völlig fremden Terrain zu widmen und zu öffen? Die zweite Sphäre ist die ich-studiere-Geisteswissenschaften-ich-muss-das-mögen-und-ich-sollte-mich-ausschließlich-mit-Menschen-umgeben-die-das-auch-mögen-Sphäre. Zugegeben, es hört sich besser an zu berichten, man sei auf einer Kunstaustellung als auf einem Helene Fischer Konzert gewesen.

Doch genau hier eröffnete sich für mich die Frage: Wieso genau ist das so? Was hat Kunst, was sie so elitär, so unnahbar und doch so reizend für mich macht? Und wieso trägt sie das Label „Kunst für alle“?

Mit diesem Mix aus Erwartungen, Provokationen und Fragen fuhr ich zur documenta 14. Begleitet von anderen Studierenden, die sich manchmal laut und manchmal auch sehr leise, die gleichen Fragen stellten.

Zunächst wurde mir eines sehr deutlich: schon das Design des Logos, die Betitelung „Spaziergänge“ für Führungen, die politische Botschaft das Ganze auch in Athen zu veranstalten – all das konnte ich mit einem zufriedenen, zustimmenden Nicken für mich annehmen. Ohne große Vorbereitung ging es zunächst zum Fridericianum, vorerst zum Parlament der Körper. Ein großer Raum, gefüllt mit verschiedenen schaumstoff Objekten, gehüllt in verschieden Camouflage Mustern unterschiedlichster Militärs, die wild verteilt im Raum standen. Eine gute Idee – einen Raum bieten, Kritik an Krieg und militanten Strukturen üben, Gespräche und Diskussionen anbieten – auf den ersten Blick. Ohne die Idee des Verbildlichens von „offenen Räumen“ (wie z.B. bei Homi K. Bhabha) schlecht reden zu wollen, wird auch hier ein Raum geschaffen, der trotz aller Offenheit und Möglichkeit nicht so offen ist, wie er vorzugeben scheint. Denn wen sieht man in einem solchen Raum? Zunächst erst einmal uns: eine Gruppe von Studierenden, Dozentinnen und einer Professorin, die zwischen durch, gespickt von name dropping, wild diskutieren. Dann in einer Ecke, auf einem der Camouflageobjekte liegend, eine Frau, die sich in einem Notizbuch der documenta Notizen macht. Links von uns eine Gruppe Senior*innen, die über die letzte documenta fachsimpelt. Statt die Möglichkeiten des Raumes und die Gestaltungsfreiheiten zu nutzen, setzten auch wir uns nur plump auf die schon vorgegeben angeordneten Objekte und nutzen den Raum in seiner Funktion nur sehr bedingt. Auch kamen wir nicht ins Gespräch mit anderen, sondern blieben unter uns. Nur kurz erwähnt hierbei seien der immense Eintrittspreis und die Warteschlangen, die wir nur umgehen konnten, da wir eine Führung – Entschuldigung – einen Spaziergang gebucht hatten. So viel zu offenen Räumen.

Beeindruckend war jedoch der Moment, in dem wir uns vor ein wunderschönes und gleichzeitig verschreckendes Kunstwerk stellten – ein aus Nato-Stacheldraht gebautes Gebäude, perfekt geordnet, schön in Erscheinung und Form, gleichzeitig die wohl mit effektivste Waffe, die wir gerade auf der Welt zu bieten haben. Mich begeisterte weniger das Kunstwerk, als vielmehr das Gefühl der Unbehaglichkeit, das sofort bei mir einsetzte. Die ganze Atmosphäre veränderte sich und führte mich fast schon auslachend auf meine anfänglichen Fragen zurück. Hier stehen wir nun, auf einer Exkursion der Universität, an der wir das Privileg haben studieren zu dürfen, auf der wichtigsten Kunstausstellung der Welt, in einem Museum, vor Kunstwerken, die in Athen nicht ausgestellt werden konnten, da nicht genug Geld vorhanden war und schauen uns einen Stacheldraht an und diskutieren über seine Ästhetik. Klingt das nicht völlig absurd?!

Aber vielleicht will Kunst ja genau das. Sie will uns auch das Absurde an ihrer Beschaffenheit zeigen, uns vorführen, uns provozieren. Ob ihr das gelingt? Ich weiß es nicht. Die Gruppe nach uns (die Senioren der letzten Gruppe) fachsimpelten darüber, wie die Farbe des Silbers des Stacheldrahtes am besten zu beschreiben sei.

Aber auch Objekte, die sich mir beim besten Willen und Versuchen nicht erschließen wollten gab es: zum Beispiel ein Werk, welches aus Kohle und Jute bestand. Gepaart mit einem Gong, der unregelmäßig und ungeheuer laut gegen eine Metallplatte schlug. Ja, auch hier wurde Unbehaglichkeit provoziert. Aber wofür? Und wieso ist das Kunst? Man muss sich ja nicht alles erschließen können. Und es wäre vermessen etwas den Titel Kunst abzusprechen, nur weil man selber keinen Zugang findet.

Nun zu meiner persönlichen Lieblingshalle, der neuen Galerie. Schon die Ästhetik der Räume spricht an. Hell, klar, eindeutig. Auch die Themen: Geschlecht, Behinderung, Sex und Politik. Klar und eindeutig. Dass es mir einmal gelingen könnte mich 20 Minuten über zwei graue Leinwände zu unterhalten, hätte ich vor der documenta 14 niemals für möglich gehalten. Chapeau, documenta 14! Ashley Hans Scheirl begrüßte uns mit den Themen Sexualität und Kapital, brachte durch ihre eigene Person aber auch das Thema transgender ins Spiel. Gut war, dass Werke die mehrere Jahrhunderte alt waren zusammen mit zeitgenössischer Kunst ausgestellt und in Bezug gesetzt wurde. Vorbei an Beth Stephens und Annie Sprinkle, die unangenehm laut auf das Thema Ökosexualität aufmerksam machten und unsere Choristin dazu veranlassten den Raum schnell wieder verlassen zu wollen, gingen wir durch Räume, die riesige Krebsgeschwüre zeigten hinzu einem Selbstportrait einer Frau. Lorenza Böttner, die die Einordnung ihrer Kunst in die Kategorien behindert, trans und anders nicht verdient hat. Ihre Kunst wäre ohne jeden Zweifel auch ohne Bilder von ihr, wie sie mit den Füßen malt, großartig gewesen. Auffällig hierbei war: bei anderen Werken suchte man oft vergeblich nach Titeln, während man bei Lorenza Böttner eine ganze Beschreibung fand. Muss das sein?

Mir ist klar, dass Themen wie transgender, Behinderung, Kapitalismus und Politik gerade den Status quo der Diskussionen unter dem oberen Drittel der Gesellschaft ausmachen, aber um Themen anzugehen und zu durchbrechen, neue, diskursive Räume zu schaffen, braucht es keine eigene Galerie die perfekte zu dem selbst auferlegtem Ziel „wir sind für alle Menschen offen, wir stellen auch Werke behinderter und trans Menschen aus“ passt.

Nun zu meinem Fazit. Wer meine Reflektion bis hierher gelesen hat wird sich vermutlich wundern, denn ich bin nach wie vor begeistert von der documenta 14. Und zwar ganz anders begeistert, als ich es sein wollte. Ich wollte nach Dortmund zurückkommen und mein Ego aufwerten. Ich wollte gebildeter, dazugehöriger und dabei sein. Etwas anderes ist passiert: ich habe gelernt was Kunst für mich sein kann. Dass Kunst auch einfach mal Kunst sein darf, dass nicht alles einen tieferen Sinn haben muss und, dass Dinge mich irritieren, mich begeistern und nachdenklich machen können. Anders gesagt: Kunst muss nichts für mich tun. Kunst ist ein aktiver Bildungsprozess, der keinem anderen Zweck folgen sollte, als sich selbst zu bilden. Nicht für andere, nur für sich.

Die Frage danach wem Kunst zugänglich gemacht wird und werden kann finde ich jedoch nach wie vor schwierig. Kulturelles Kapital hat einen hohen Preis, das ist nun einmal so. Ich finde es nach wie vor geheuchelt sich als offen zu präsentieren, obwohl selbst mein Gefühl war mich in einen Exklusivclub zu begeben. Die Frage ist, ob sie das muss. Auch nicht jede und jeder muss Hegel gelesen haben, um ein besserer Mensch zu sein. Auch ich muss das Foucaultsche Pendel nicht verstehen, um anerkannt zu werden. Und das sollte auch gar nicht das Ziel sein. Kunst kann etwas Ambivalentes, Verstörendes und Aufregendes sein. Sie kann aber auch einfach nur schön sein. LK

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